Der russische Eroberungsfeldzug gegen die Ukraine. Rechtliche Aspekte und Konsequenzen
Prof. Dr. Christian Tomuschat, Humboldt Universität
Der vom russischen Diktator ausgelöste Ukraine-Krieg hat mit seinem Bruch des Gewalt- und Kriegsverbots als einem grundlegenden Pfeiler des gegenwärtigen Völkerrechts vor allem in Europa einen Schock verursacht. Nicht nur ist die UN-Charta zusammen mit einem spezifischen Gewaltverzichtsversprechen von Seiten Russlands verletzt worden, auch die gesamte europäische Friedensordnung, wie sie seit dem Jahr 1990 in gegenseitiger Verständigung errichtet worden war, ist in ihren Grundfesten erschüttert. In der Missbilligung des russischen Eroberungsfeldzuges ist sich fast die gesamte Staatenwelt einig. Heute geht es um die Konsequenzen dieses Handelns. Wie weit können Drittstaaten wie Deutschland die Ukraine militärisch unterstützen, ohne selbst zur Kriegspartei zu werden? Lassen sich die verantwortlichen Staats- und Militärführer in Russland bestrafen, und welche Gerichte kommen dafür in Betracht? Kann es unter dem militärischen Druck Russlands einen Friedensvertrag geben, der auch den Verzicht auf ukrainisches Territorium umfasst? Lässt sich die allgemeine Regel des Völkerrechts, dass jede völkerrechtswidrige Handlung zur Wiedergutmachung verpflichtet, auch auf ein komplexes Kriegsgeschehen anwenden? Muss die Blockadehaltung Russlands als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats Anlass sein, das Vetorecht eines solchen Mitglieds, das seine Vorrangstellung zur Förderung des eigenen verbrecherischen Handelns missbraucht, einzuschränken oder zu beseitigen? Die Gefahr besteht, dass das System der internationalen Beziehungen von einer regelbasierten Ordnung zu einer Konstellation wird, in der nur die Macht des Stärkeren zählt.