SF-2016-Wie Nervenzellen miteinander reden

Wie Nervenzellen miteinander reden

Prof. Dr. Reinhard Jahn, 
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen

Unser Gehirn besteht aus 100 Milliarden Nervenzellen, die ein komplexes dreidimensionales Netzwerk ausbilden, in dem Informationen empfangen, verarbeitet und weitergeleitet werden. Anders als bei einem Transistor kann eine einzelne Nervenzelle viele tausend Kontakte zu anderen Nervenzellen ausbilden, an denen Signale übertragen werden. Diese Kontaktstellen werden als Synapsen bezeichnet, wobei Signale nur in einer Richtung von der Sender- an die Empfängerzelle übertragen werden. Dabei erfolgt eine Umcodierung von elektrischen in chemische Signale: Elektrische Impulse, die in den synaptischen Nervenenden einer Senderzelle eintreffen, führen zur Freisetzung von chemischen Botenstoffen, den Neurotransmittern, die anschließend von der Empfängerzelle ausgelesen und wieder in elektrische Signale übersetzt werden. 

Wie funktioniert die Übersetzung von elektrischen in chemische Signale? Vor der Freisetzung sind Neurotransmitter in kleinen membranumschlossenen Bläschen gespeichert, den synaptischen Vesikeln. Wenn ein elektrisches Signal eintrifft, strömen Calcium-Ionen aus dem Extrazellulärraum in die Synapse, wodurch die Verschmelzung der Membran der synaptischen Vesikel mit der Plasmamembran ausgelöst und die Neurotransmitter freigesetzt werden. Dieser Vorgang dauert nur eine tausendstel Sekunde – sehr schnell für biologische Reaktionen, aber vergleichsweise langsam gegenüber einem Transistor. Die Mokeküle, die für die Calcium-vermittelte Membranverschmelzung verantwortlich sind, sind bereits vor über 20 Jahren entdeckt worden, unter anderem unter Beteiligung meiner Arbeitsgruppe. Seither bemühen wir uns, einzelne Reaktionen im Reagenzglas unter Verwendung von gereinigten Proteinen und künstlichen Membranen zu rekonstruieren. Hiervon erhoffen wir uns genauere Einblicke in die molekularen Schritte, die der Freisetzung von Neurotransmittern in allen Nervenzellen und damit dem Funktionieren des Gehirns zugrunde liegen.