SF-2013 Was wir von fetten Fliegen lernen: die Genetik des Übergewichts
Prof. Dr. Herbert Jäckle
MPI für biophysikalische Chemie, Göttingen
Fast die Hälfte der Bundesbürger ist stark übergewichtig – und das, obwohl sie in zunehmendem Maß Sport treiben. Prognosen lassen epidemische Ausmaße der Fettsucht in westlichen Ländern erwarten. Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Folge und haben Infektionskrankheiten als begrenzenden Faktor der Lebenserwartung abgelöst.
Körpereigenes Fett ist ein Produkt des Stoffwechsels. Zum Fettaufbau aus der Nahrung trägt eine Vielzahl von Enzymen bei. Enzymaktivitäten wiederum können prinzipiell auf Genexpression zurückgeführt werden. Die quantitative Untersuchung von Stoffwechselprodukten (Metabolomanalyse), Rezeptor-, Transport- und katalytischen Proteinen (Proteomanalyse) und der transkribierten Messenger-RNA jedes einzelnen Gens (Transkriptomanalyse) ist prinzipiell möglich. Dennoch ist eine globale Studie zu den Auswirkungen der Ernährung auf den menschlichen Organismus undenkbar, weil jeder Mensch einen anderen Genotyp hat, Umwelteinflüsse nicht vereinheitlicht werden können und es nicht zuletzt schlicht unzumutbar ist, für eine Studie zu hungern oder bis zum Übergewicht zu essen. Die Funktionsanalyse von Genen wird daher zunehmend an einfachen Modellorganismen durchgeführt. Aber kann man von solchen Modellen überhaupt etwas über den Menschen lernen? Vor dreißig Jahren noch wäre man belächelt worden, hätte man behauptet, dass Gene, die für die Entwicklung der Fruchtfliege Drosophila verantwortlich sind, sich mit ähnlicher Funktion im menschlichen Genom wiederfinden lassen und dass genetische Regelkreise und molekulare Mechanismen weitgehend universal sind. Doch so ist es – trotz Jahrmillionen evolutionärer Trennung und gänzlich unterschiedlicher Baupläne. Das Repertoire an genetischen Methoden, der geringe experimentelle und finanzielle Aufwand sowie der vergleichsweise rasche Erkenntnisgewinn (Generationszeit: ca. 12 Tage) lassen Fliegen zum idealen Versuchstier werden, um biologische Prinzipien zu erforschen und diese zum Verständnis menschlicher Krankheiten zu nutzen.
Die Kombination von Formalgenetik, Biochemie und modernen Bildgebungsverfahren mit Transkriptom-, Protein- und Metabolitenanalysen hat bereits pharmakologisch wirksame Leitsubstanzen identifizieren lassen, die Fettsucht bei Fliegen heilen und erste Ansätze zur Medikamentenentwicklung für Fettsuchtpatienten bieten